Die friedlichsten Ausschreitungen seit 30 Jahren

„Schwere Ausschreitungen“, „Randale“, „Böller-Attacke“, „Raketen Angriff“ – So lauteten die Überschriften verschiedener Medien nach dem Landespokalhalbfinale zwischen dem Karlsruher Sport-Club und dem SV Waldhof Mannheim. Es kam also, wie es kommen musste. Scheinbar konnte nur durch den heldenhaften Einsatz der Polizei die schier unendliche Gewalt eingedämmt werden.

Auch mehrere Mitglieder der Fanhilfe Karlsruhe waren beim „Zamme Nausdabbe“ vom Karlsruher Schlossplatz zum Wildparkstadion und beim anschließenden Fußballspiel vor Ort und können sowohl die Schilderungen der Polizei, als auch die der Presse nicht teilen.

Tatsächlich versammelten sich vor dem Spiel einige hundert KSC-Fans vor dem Schloss und zogen gemeinsam über den Schlossgarten, die Linkenheimer Allee und den Adenauerring zum Stadion. Die Polizei begleitete die Fans mit mehreren Hundertschaften. Hierbei kam es wie bei fast jedem Fanmarsch vereinzelt zum Einsatz von Pyrotechnik, die jedoch zu keiner Zeit gegen die Beamten gerichtet wurde. Auch die häufig beschriebene Signalrakete hatte mit dem Polizeihubschrauber als einzige Gemeinsamkeit, dass sie sich eben beide in der Luft befanden. Daraus einen Angriff abzuleiten, entbehrt jeglicher sachlicher Grundlage, unterschieden sich neben der Flugrichtung auch die Höhe von Hubschrauber und Signalrakete schon grundlegend. Auch während und nach dem Spiel blieb es durchgehend ruhig; nicht wenig erstaunt daher die Berichterstattung der folgenden Tage. Wie kommt es dazu, dass unsere Wahrnehmung so elementar von den veröffentlichten Zuständen abweicht?

Natürlich sind wir nicht wirklich objektiv. Wir versuchen zwar eine möglichst sachliche Analyse, sind allerdings alle KSC-Fans und befürworten auch den kontrollierten Einsatz von Pyrotechnik. Aber auch die Polizei ist nicht objektiv. Sie gibt vor dem Spiel eine Gefahrenprognose ab und plant den Einsatz. Der fiel für das Spiel gegen den Waldhof entsprechend groß aus und so bekommt der Steuerzahler die Einsatzkosten für 1000 Beamte, Einsatzfahrzeuge und Hubschrauber aufgedrückt.
Stellt sich die Einschätzung der Polizei, wie beim vergangenen Spiel, als falsch heraus, folgt eine Mischung aus Dramatisierung der tatsächlichen Ereignisse und Lob auf die eigene Arbeit, die schlimmere Zustände angeblich erst verhindert habe. Die Polizei nutzt dazu Pressemitteilungen, die auch online zur Verfügung gestellt werden (aktuell auf https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/110972/3920460). Ein engagierter Journalist könnte jetzt versuchen, die Behauptungen der Polizei zu verifizieren. Er könnte Menschen befragen, die die beschriebenen Zustände beobachtet haben, könnte Bild und Videomaterial sichten. Kurz gesagt: Er könnte die tatsächlichen Vorgänge recherchieren. Das bedeutet natürlich jede Menge Arbeit – Arbeit, die sich im Endeffekt für niemanden lohnt. Schöne Choreo, etwas Rauch und ein Fallrückzieher – das war‘s. Das druckt niemand ab, das kauft niemand und es interessiert auch niemanden. Also übernehmen die meisten Medien einfach den Polizeibericht. Das ist leider die gängige Praxis. Wer es nicht glauben möchte, darf gerne selbst den Test machen und die Polizeimitteilung mit den Presseartikeln vergleichen. Gute Gründe für seriösen Journalismus gibt es trotzdem: Polizei und Presse machen hunderte Teilnehmer eines Fanmarsches zu Tätern – ohne Anwalt und ohne Richter. Sie schrecken potentielle Zuschauer ab, in dem sie ihnen den Stadionbesuch als Schlachtfeld präsentieren. Und sie suggerieren eine Notwendigkeit überzogener Einsätze, die in dem Gejammer um Überlastung und schlechten Bedingungen mündet, die durch die Politik wiederum in dem Ausbau von Überwachung und Polizeistaat gipfelt.

Wie es mit minimalem Aufwand anders geht, zeigt z.B. die Rhein-Neckar-Zeitung. Sie druckt zwar auch in Kurzform den Bericht der Polizei, lässt allerdings auch die Stadionbesucher zu Wort kommen. Diese berichten von „keinerlei Auseinandersetzungen“ und dem „friedlichsten Derby der letzten 30 Jahre“. Noch besser wären natürlich echte Beweise. Dazu lässt sich jedoch aktuell leider kein Beispiel finden.